Von der Neugründung zur modernen Blaulichtorganisation
Der Auf- und Ausbau des Murrhardter DRK-Ortsvereins nach 1945 brauchte seine Zeit. Heute sind die „Helfer vor Ort“ und die „Einsatzgruppe akut“ wichtige Kräfte.
MURRHARDT. Nach Kriegsende galt das DRK bei den Besatzern als NS-kontrollierte Organisation und wurde aufgelöst. Trotzdem arbeiteten die Kreisstellen und aktiven Bereitschaftsangehörigen weiter. Am 10. August 1946 fand die erste „Rote Kreuz Versammlung“ der Nachkriegszeit in der Region im Gasthof „Engel“ statt. 1947 erfolgte die Neugründung der Ortsvereine im Kreis, so auch in der Walterichstadt. Ab diesem Jahr organisierte das DRK Sammlungen von Kleidung und Wäsche, Schuhen und Stoffresten. Wichtige Aufgaben waren die Unterstützung, Fürsorge und Betreuung für Kriegsgefangene und Heimkehrer, Vertriebene und Flüchtlinge.
Die Wirtsfamilie Bofinger der „Sonne-Post“ und Mitglieder des DRK-Ortsvereins verpflegten Rückkehrer aus der Gefangenschaft und andere Ankommende am Murrhardter Bahnhof mit Speisen und Getränken. Daraufhin seien einige, die nicht aus Murrhardt waren und weiterfahren wollten, in der Walterichstadt geblieben, erzählt der ehemalige Vorsitzende Christoph Meindl. Auf Kreisebene baute man ab den 1950er-Jahren den Rettungsdienst aus und richtete 1974 die Rettungsleitstelle in Waiblingen ein. Seit den 1970er-Jahren erweiterte man die Dienstleistungen im Sozialbereich, wozu unter anderem Fahrdienste, „Essen auf Rädern“, hauswirtschaftliche Hilfen, Hausnotruf und ambulante Pflegeleistungen gehören.
Auch der Ortsverein verstärkte sein Engagement für die Einwohner, vor allem im Bereich der Sozialarbeit. Seit 1959 gibt es in Murrhardt regelmäßige Blutspendeaktionen, viele Jahre im Reinhold-Nägele-Saal und seit 2007 in der Festhalle. 1969 startete die Breitenausbildung der Bevölkerung in Erster Hilfe. In den 1960er-Jahren bekam der Ortsverein einen neuen Raum im kleinen Feuerwehrgerätehaus und das erste eigene Einsatzfahrzeug, berichtet der ehemalige Bereitschaftsleiter Ludwig Franke. Seit 1982 besteht die Rettungswache in der Hörschbachstraße 11, nachdem die Stadt das Gebäude 1981 erwarb. Darin richtete man Räume für den Rettungsdienst und DRK-Ortsverein ein, erklärt der heutige Vorsitzende Bürgermeister Armin Mößner.
Laut Christoph Meindl dauerte es lange, bis der Ortsverein nach der Neugründung 1947 einen gut funktionierenden Stamm an aktiven, gut ausgebildeten und ausgerüsteten Bereitschaftsmitgliedern hatte. Eine wichtige Rolle spielte Karl Barreuther (1905 bis 1979), Mitgründer und bis 1970 Vorsitzender des Ortsvereins. 45 Jahre setzte er sich für viele Kranke oder Verletzte in Murrhardt und Umgebung ein. Ab 1947 fuhr er den ersten bei Dr. Karl Berner stationierten Krankenwagen Murrhardts.
Das Ehepaar Barreuther leistete
28 Jahre Krankentransporte.
Ab 1957 war seine Frau Johanna ständige Beifahrerin und übernahm 1961 die Hauptarbeit, als er schwer erkrankte. 28 Jahre lang fuhr das Ehepaar Barreuther ohne Urlaub unzählige Patienten ins Krankenhaus, zum Arzt oder wieder nach Hause. 1974 ernannte man Karl Barreuther zum Ehrenvorsitzenden des Ortsvereins und verabschiedete das Ehepaar in den Ruhestand, berichtete die „Murrhardter Zeitung“.
Von 1970 bis 1988 war der mit der Bürgermedaille ausgezeichnete Apotheker Werner Wagner (1927 bis 2013) Ortsvereinsvorsitzender, zudem etliche Jahre im DRK-Kreisvorstand sowie im DRK-Landesverband aktiv. Werner Wagners außerordentlichem Engagement sei es zu verdanken, „dass der Ortsverein auf ein hohes Bereitschafts- und Einsatzniveau gebracht werden und sich fest als Organisation in der Walterichstadt etablieren konnte“, betont Christoph Meindl. Wagner motivierte viele Mitbürger, sich im Ortsverein für ihre Mitmenschen einzusetzen, und baute die Bereitschaft aus, damit sie eine Vielzahl von Aufgaben erfüllen konnte. Auch sorgte er dafür, dass die Ausrüstung modernisiert und verbessert sowie ein neues Fahrzeug beschafft wurde.
Die „gute Seele des ehrenamtlichen DRK-Sozialdienstes“ war Maria Durchdenwald (1912 bis 1994), die 1989 die erste Bürgermedaille der Stadt Murrhardt für herausragendes soziales Engagement verliehen bekam. Ab den 1950er-Jahren setzte sie sich über 40 Jahre lang für den Ortsverein ein, ab Anfang der 1970er-Jahre trug und gestaltete sie über 20 Jahre dessen Sozialarbeit. Sie übernahm Hausbesuche, hauswirtschaftliche Dienste und Betreuung für Senioren, ermutigte alte, kranke und schwache Mitbürger mit freundlichen Sinnsprüchen, Gebeten oder kleinen Gedichten.
In vielen Einsätzen baute der Ortsverein ein sehr gutes Verhältnis zu den anderen Hilfsorganisationen auf, wie Rettungsdienst und Polizei, freiwilliger Feuerwehr und Technisches Hilfswerk. Es ist Grundlage gegenseitigen Vertrauens und partnerschaftlicher Zusammenarbeit bei Einsätzen sowie gemeinsamen Übungen, betont Christoph Meindl. Im Juli 1995 beging der Ortsverein sein 125-jähriges Bestehen mit einem „Wochenende der Hilfe“ rund um die Stadthalle und Präsentation der Hilfsorganisationen der Walterichstadt.
2008/09 führte man die „Helfer vor Ort“ im Kreis ein, die bei lebensbedrohlichen Notfällen zum Einsatz kommen und die Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes überbrücken. Parallel dazu baute man die „Einsatzgruppe akut“ auf, die zum Einsatz kommt, wenn der Rettungsdienst Unterstützung braucht, beispielsweise bei einem Brand, und oft zusammen mit der freiwilligen Feuerwehr alarmiert wird. Beide Teams bestehen aus entsprechend ausgebildeten und ausgerüsteten Bereitschaftsmitgliedern. Der Ortsverein zählt laut Vorstandsmitglied Matthias Müller zurzeit 16 Bereitschaftsmitglieder, die Jugendrotkreuzgruppe 15 Mädchen und Jungen. Die Mitglieder der Ortsvereine Murrhardt und Sulzbach an der Murr unterstützen einander gegenseitig, aus ihren Reihen kommen auch elf „Helfer vor Ort“.
Bereitschaftsleiter Philipp Wolff ist Ausbildungsleiter und Koordinator für Erste-Hilfe- und weitere Kurse. Seit November 2019 ist die Walterichstadt Notarztstandort für das Obere Murrtal: Die DRK-Notarztwache befindet sich auf dem Grundstück und im Gebäude der alten Straßenmeisterei. Dank der verkehrstechnisch idealen Lage direkt an Kreisverkehr und Landesstraße1066 beim Teilort Harbach zwischen Murrhardt und dem Sulzbacher Teilort Schleißweiler ist ein Notarztwagen schnell auf dem Weg.
Zukunftsziel des DRK-Kreisverbands und -Ortsvereins Murrhardt ist es, langfristig einen großen gemeinsamen Standort mit Notarzt, Rettungsdienst und ehrenamtlichem DRK einzurichten. Dazu wünscht sich der Ortsverein einen Neubau, der ihm genug Platz bietet, um sämtliche Fahrzeuge unterstellen zu können, und Räume, in denen er auch alle Aufgaben und Anforderungen erfüllen kann, verdeutlicht Matthias Müller.
Engagierte gründeten 1870 Sanitätsverein
Heute vor 150 Jahren ist der Vorläufer des DRK-Ortsvereins Murrhardt aus der Taufe gehoben worden. Von Anfang an sammelte man Spenden, später war das Engagement vor allem von den beiden Weltkriegen und der Versorgung der Verletzten geprägt.
MURRHARDT. Soldaten und Zivilpersonen zu helfen, die verletzt oder krank sind oder sich in einer Notsituation befinden: Das war und ist die Kernaufgabe des 1863 gegründeten Internationalen Roten Kreuzes. Sieben Jahre später folgten Honoratioren und engagierte Vertreter des Murrhardter Bürgertums einem Aufruf des Stadtschultheißenamts, also der Stadtverwaltung. Kurz nach Beginn des deutsch-französischen Krieges gründeten sie nach Stadtarchivakten am 4. August 1870 einen örtlichen Sanitätsverein.
Dessen Hauptaufgabe war es, Geld- und Sachspenden in der Stadt und den Teilorten zu sammeln. Mädchen und Frauen trafen sich nachmittags im Rathaussaal und fertigten Verbandsmaterial aus Leinen- und Baumwollfasern an. Mehrfach unterstützte der Sanitätsverein die 41 Soldaten aus Murrhardt mit Geld, Lebensmitteln und Bekleidung wie Flanellhemden und Wollsocken, die örtliche Betriebe herstellten. Zudem sandte man dem Dachverband Württembergischer Sanitätsverein Geld- und Sachspenden auf Fuhrwerken nach Stuttgart – die Murrbahn war noch nicht gebaut.
Aus der Zeit zwischen 1871 und 1914 sind keine Unterlagen vorhanden, daher ist unklar, ob der Sanitätsverein weiterbestand. Als 1914 der Erste Weltkrieg begann, rief eine Ortsgruppe des Roten Kreuzes in der „Murrhardter Zeitung“ zu Spenden auf. Frauen lud sie ein, sich zu Krankenpflegerinnen in Kursen ausbilden zu lassen, die Stadtarzt Eduard Burck leitete. Sie arbeiteten während des Krieges im Vereinslazarett im 1890 eröffneten Murrhardter Krankenhaus und in den Hilfslazaretten im Kollmarhaus in der Grabenstraße, in der Villa Bauder am Riesberg und der Villa Franck mit. Die Ortsgruppe führte deren Betrieb, finanzierte die Einrichtung und war verantwortlich dafür, dass Ärzte, Pflege- und Wirtschaftspersonal zur Verfügung standen. Am Murrhardter Bahnhof richtete die Ortsgruppe eine Verbands- und Verpflegungsstelle ein, wo ausgebildete Kranken- und Hilfsschwestern von der Front in die Heimat gebrachte Verwundete versorgten. In der Walterichstadt behandelte man meist leichte Verletzungen wegen der unzureichend ausgestatteten Lazarette, die eher als Genesungsheime dienten. Mit vielen Spendenaktionen unterstützte man Soldatenfamilien und sammelte Lebensmittel wie frisches Obst für die Lazarette. Bedürftigen Familien kam der Erlös des nach Kriegsende verkauften Vereinslazarett-Inventars zugute. Wegen der instabilen politischen Verhältnisse in der Weimarer Republik geriet das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in eine Krise. Es stand in Konkurrenz zum Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), der wohl seit 1918/19 eine Sanitätskolonne in Murrhardt hatte. Jährlich fanden Rotkreuztage mit Sammlungen und Benefizkonzerten, auch des Musikvereins Stadtkapelle, statt. Nach Beginn der nationalsozialistischen Diktatur 1933 löste man die ASB-Kolonne auf und baute einen DRK-Sanitätshalbzug auf, dessen Mitglieder Stadtarzt Karl Berner und Zugführer Wilhelm Kugler ausbildeten.
Zu dessen Gründung im Frühsommer 1933 organisierten die Sanitätskolonnen von Backnang und Sulzbach an der Murr eine große Katastrophenübung mit vielen schwierigen Aufgaben für die Sanitäter. Laut Szenario stürzte ein Flugzeug ab und verlor eine Tragfläche, die auf einen voll besetzten Bus fiel. Der Flugzeugrumpf schlug im Bahnhof auf, eine Benzinexplosion führte zu vielen Verbrennungen, und zahlreiche in der Wartehalle eingeschlossene Personen erlitten Rauchvergiftungen. 1934 forderte ein Großeinsatz die Sanitäter: Am 22. Dezember kam es bei Schleißweiler wegen eines Signalfehlers zu einem schweren Eisenbahnunglück. Zwei Züge stießen zusammen, zehn Menschen starben, und viele Verletzte waren zu versorgen.
Die Stadtverwaltung stellte dem Sanitätshalbzug „das (Reserve-)Lokal im (Graben-)Schulhaus auf der Hinterseite“ als Versammlungsraum zur Verfügung und die Stadthalle für Übungen. Bei der Übung zur Aufnahmeprüfung 1935 kooperierte der Sanitätshalbzug mit der freiwilligen Feuerwehr. Man nahm an, dass nach der Explosion des Dampfkessels in den Murrhardter Möbelwerkstätten ein Brand ausgebrochen war, weshalb viele Schwerverletzte, Rauch- und Gasvergiftungen zu versorgen waren.
Das NS-Regime wandelte das DRK in eine paramilitärisch organisierte Körperschaft um. Aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs 1939 bis 1945 sind kaum Unterlagen über die Aktivitäten des DRK-Ortsvereins vorhanden. Das Krankenhaus diente erneut zum Teil als Lazarett, Hilfslazarette waren in der Stadthalle und im Pförtnerhaus der Villa Franck, wofür das DRK das Pflegepersonal stellte. Erstmals fanden Blutspendeaktionen statt und man setzte Blutkonserven ein. Vor Ort waren Soldaten, gegen Kriegsende auch durch Luft- und Tieffliegerangriffe Verletzte zu versorgen. Sanitätsdienst in den Luftschutzstollen leisteten Krankenschwestern, die Mitglieder des DRK-Ortsvereins und Laienhelferinnen unterstützten.